We Are Football – Anstoss oder Abpfiff?
Wenn Gerald Köhler an einem neuen Fußball-Manager werkelt, horcht der alte Anstoss-Fan auf, schließlich ist er nicht nur der Vater dieser legendären Spieleserie sondern auch der des EA Fußball Manager. Ein Review.
Unser Ziel ist der Klassenerhalt
Wird es ein neues Anstoss? Gibt es endlich Konkurrenz für den Football Manager von Sports Interactive? Wird der Geist der alten Fußball Manager beschworen und der Meistertitel endlich zurück nach Deutschland geholt?
Nein, nein, nein. Von Beginn an stapelten Gerald Köhler und das Entwicklerstudio Winning Streak Games recht tief und beteuerten, den Tabellenführer und Serienmeister erst gar nicht herausfordern zu wollen. Eine ganz andere Zielgruppe hätte man. Weniger zeitraubendes Erarbeiten von Taktiken und akkurater Simulation, mehr flottes Spielen durch die Saison. Weniger Trainer, mehr Manager.
So lange ich und Kalle Rummenigge hier etwas zu sagen haben …
Und in der Tat hat man bei We Are Football (WAF) wieder mehr den ganzen Club im Blick. Während sich der Football Manager (FM) am englischen System orientiert, in dem man den Manager als sportlichen Leiter begreift, der sich hauptsächlich um die Mannschaft kümmert, gibt uns WAF die Kontrolle über den Verein zurück.
Ob Stadionausbau, Vereinsgelände, Finanzanlagen, Vermarktung, Merchandising oder all die kleinteiligen Funktionen, wie das Festlegen der Eintrittspreise – es ist alles wieder mit dabei.
Der Manager-Teil des Spiels punktet dann auch gleich und fährt die ersten Heimsiege ein. Hier hat man das Gefühl, eine moderne Variante von Anstoss 3 oder des EA-Managers zu spielen, hier wirkt vieles rund. Besonders das Ausbauen des Vereinsgeländes und des Stadions, das von alten Anstoss-Veteranen beim FM oft vermisst wird, ist sehr gelungen und schick dazu. Auch das Abwegen, welche Investitionen noch getätigt werden kann, um innerhalb des vorgegebenen Budget zu bleiben, ist bei finanzschwachen Vereinen herausfordernd.
Wie einst Anstoss, hat auch WAF keine Lizenzen echter Vereine und Spieler. Mit einer Ausnahme. Durch einen Vertrag mit der DFL, stehen Spielern, die bereit sind, etwas mehr zu bezahlen, die Lizenzen für die 1. und 2. Bundesliga der Männer und der Frauen per DLC zur Verfügung.
Für alle anderen gibt es einen Editor und Fan-Patches.
Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen
Ob Transfers, Spielerverträge oder Sponsoren – alles muss verhandelt werden. Dafür gibt es in WAF einen entsprechenden Verhandlungs-Screen. Pro Verhandlung hat man eine Anzahl an Verhandlungspunkten und -runden. Die Punkte nehmen ab, wenn ich die vorgeschlagenen Werte ändere. Dadurch ist das System leider etwas unflexibel. Ich kann nicht das Handgeld exorbitant erhöhen, um das Gehalt zu drücken. Ich kann nur in kleinen Schritten Anpassungen vornehmen. Hat man bereits in der ersten Runde alle Punkte verbraten, ist die Verhandlung meist gelaufen.
Wenn man sich darauf einlassen kann und das System so spielt, wie es vorgesehen ist, machen die Verhandlungen viel Spaß. Die Verhandlungsrunden gehen flott voran, es gibt nicht zu viele Vertragsdetails, alles ist übersichtlich und gut lesbar. Da kommt Spannung auf, wenn man kurz vor Transferschluss versucht, die Ablöse für den Königstransfer noch unter die Budget-Obergrenze zu drücken.
Ein Trainer ist nicht ein Idiot
Der Manager-Part punktet. Wie sieht es beim Trainer und Taktiker aus? Ich sag mal so: Der Stuhl wackelt.
Natürlich will WAF keine echte Simulation sein. Natürlich liegen die Schwerpunkte wo anders. Aber ein bisschen mehr hätte es schon sein können.
Der Aufstellungs-Bildschirm ist noch ganz gut gelungen. Man kann aus den üblichen Standardsystemen wählen oder man baut sein eigenes. Die Spieler sind frei auf den Positionen verschiebbar. Die Spieler selbst haben weniger Attribute als die des FM, die genauen Werte sind jedoch versteckt. Dafür gibt es eine Gesamtstärke und Symbole zeigen an, in welchen Attributen (z.B. Torriecher, Zweikampf, Kopfball) der Spieler besonders stark ist oder besonders schwach. Zusätzlich gibt es noch die Spielertypen Anführer, Teamspieler, Künstler und Analytiker, welche die Team-Dynamik beeinflussen und man versuchen muss eine Balance in der Aufstellung zu finden.
Wie genau und ob die Attribute in die Berechnung einfließen, kann man nur mutmaßen. Mutmaßen muss man auch im Taktik-Screen. Dieser ist dünn und unkommunikativ.
Zunächst wählt man eine Spielphilosophie. Davon beeinflusst kann man festlegen, wie offensiv oder defensiv gespielt wird. Ein Balken zeigt an, wie unser Spielermaterial zur Philosophie passt.
Rechts gibt es fummelige Slider zum Einstellen der Angriffsseiten, in der Mitte Slider für Pressing, Gegenpressing, Ecken, Konter, Abseitsfalle, Distanzschüsse und Schwalben. Das wars fast.
Vor dem Spiel lässt sich noch der Einsatz festlegen und Ziele für Manndeckung auswählen.
Das ist nicht viel mehr, als wir 1999 schon hatten. Nur Gegenpressing gab es da noch nicht. Kommt man direkt vom FM ist das hier ein Kulturschock.
Inverse Außenspieler? Raumdeuter? Abkippender Sechser? Seiten überladen? Schienenspieler? Mir fiel es schwer, mit diesen Möglichkeiten aktuelle Taktiken abzubilden. Was aber auch egal ist. Man erkennt seine Einstellungen sowieso kaum in der Spieltagsdarstellung.
Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich
Die Darstellung des Spieles selbst in seiner Live-Ticker-Form finde ich gar nicht so schlimm, wie andere Spieler. Jedoch konnte ich nicht erkennen, dass meine Einstellungen großen Einfluss auf Ballbesitz und Chancen hätten. Oft hatte ich mit einer defensiven Konter-Taktik mehr Ballbesitz als der Gegner. Und andersherum. Aber die versprochene Schnelligkeit des Spielablaufes und das flotte Spiel durch die Spieltage ist eingehalten.
Nicht eingehalten hat man allerdings einige Standards bezüglich Benutzerführung und Qualitätssicherung.
Warum kann ich das Trainingsmenü nicht einfach aufrufen. Nein, erst vorm Start des Wochendurchlaufs darf ich es einmal sehen. Was soll das?
Warum darf ich den Wochendurchlauf nicht unterbrechen? Scheitert am Montag eine Verhandlung, kann ich die gesamte Woche nicht darauf reagieren. Sinkt Mittwoch durch mein hartes Training die Frische in den Keller, kann ich nicht darauf reagieren. Was soll das?
Es gibt noch weitere Design-Schnitzer. Zum Beispiel beim User Interface. Die Screens sehen farblich mit den Verläufen und halbtransparenten Panels ganz schick aus aber wer hat es für eine gute Idee gehalten, diese so voll zu packen, dass man kilometerlang nach unten scrollen muss, um noch den letzten wichtigen Button zu finden?
Andere System, wie der Transfermarkt, sind einfach noch nicht fertig. Spieler, die ich auf die Transferliste gesetzt habe, versauern dort. Alle anderen bekommen horrende Angebote weit über Marktwert.
Das eine oder andere lässt sich sicher noch mit Updates beheben. Die großen, nicht-optimalen Designentscheidungen wohl aber nicht.
Man darf jetzt nicht alles so schlechtreden, wie es war
Im Ernst: WAF macht vieles richtig gut. Der Manager-Teil, der Ausbau des Geländes, der flotte Spielfluss und die Tatsache, dass man hier nicht so extrem von der Masse der Optionen erschlagen wird. Viele beliebte Features von und Reminiszenzen an Anstoss sind als Fan-Service enthalten. Die lustigen Halbzeitansprachen, die nicht ganz legalen Handlungen und die Auf- und Abwertungen. Einige Sachen sind gut gemeint. Die Skillbäume, der Angriffseditor oder der in 3D begehbare Trophäen-Raum.
Und einiges ist eben richtig schlecht.
Was ich aber auch festhalten muss, WAF schafft es trotz aller Schwächen, diese typische Sogwirkung zu entfachen. Dieses „Nur noch ein Spieltag“ Gefühl. Hat man sich mit den Mängeln im Wochendurchlauf arrangiert, entwickelt das Spiel hat einen tollen Fluss. Und es artet eben nicht in diese akribische Arbeit des Taktikmonsters von Sports Interactive aus. Es spielt sich leichter.
We Are Football spielt sich ein bisschen wie … Anstoss.
-
Gesamtwertung
Fazit
We Are Football bekommt fußballerisch und taktisch vom Serienmeister "Football Manager" deutlich seine Grenzen aufgezeigt. Dass der Klassenerhalt jedoch nie in Gefahr war, liegt vor allem am guten Wirtschaften des Managers, an der Fannähe und an der guten Stimmung im Stadion.
Wenn man die Mannschaft in der nächsten Saison weiterentwickelt, sich auf dem Transfermarkt cleverer verhält und die krassen Aussetzer im Spielaufbau und Taktikbereich sein lässt, ist durchaus der Kampf um die internationalen Plätze drin. Das Potenzial ist vorhanden.
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