Virginia – The Games Are Not What They Seem
Letzte Woche wurde der von mir lang ersehnte Mystery-Thriller Virginia veröffentlicht. Hier ist nun die Akte mit dem Review. Press ENTER To Take A Trip.
Mystery
[Zitat Anne Taver]
Es ist das Jahr 1992. Ich bin Anne Taver, frisch gebackene FBI-Agentin. Ich stehe vor einem Spiegel und trage Lippenstift auf, so wie es unzählige Frauen auf der ganzen Welt tun, passend zu meiner dunklen Haut. So wie es unzählige Frauen in Computerspielen … [Schnitt].
Ich habe eine außerkörperliche Erfahrung. Ich blicke auf meinen schlafenden Körper herab. Träume ich? Ich stand auf einer Bühne, habe meinen FBI-Ausweis bekommen. Und eben habe ich meine neue Partnerin kennen gelernt. Das Finden des vermissten kleinen Jungen ist nicht mein einziger Auftrag. Ich soll … [Schnitt].
Ich sitze in einem Diner. Vor mir stehen zwei Becher Kaffee. Mir gegenüber sitzt … [Schnitt].
Vor mir liegt ein toter Vogel. Jetzt fliegt er weg. Der Bison hat … [Schnitt].
Ich sitze in einer Bar. Ich höre die Band spielen. Ich trinke. Ich tanze mit … [Schnitt].
Ich gehe durch eine rote Tür … [Schnitt].
Ich werde nicht über Twin Peaks schreiben. Virginia ist nicht Twin Peaks. Ich werde keine Parallelen zu Akte-X ziehen. Virginia ist nicht Akte-X. Ich werde nicht über David Lynch schreiben. David Lynch war nie in Virginia. Auch Angelo Badalamenti werde ich nicht erwähnen. Keine Note erinnert an ihn. Thirty Flights of Loving? Nein. Ich werde über Virginia schreiben. Virginia ist ein eigenständiges Werk. Virginia ist ein Spiel. Virginia ist … [Schnitt].
Spiel?
[Zitat Maria Halperin]
Bereits vor zwei Jahren, als die ersten Screenshots vom Diner und den Kaffeetassen veröffentlicht wurden, hatten sie mich. Bereits da stand fest, dass sich die Entwickler von Twin Peaks und Akte-X inspirieren lassen und sie ihren Trip in das amerikanische Kleinstadtidyll Kingdom als interaktives Mystery-Drama inszenieren würden. Was dabei herauskam ist weniger Spiel als ich erwartet habe, paradoxerweise aber gleichzeitig eine der außergewöhnlichsten Spielerfahrungen, die ich je erleben durfte.
Waren die Dialoge in Firewatch durch den Funkgerät-Kniff bereits auf ein Minimum reduziert, verzichtet Virginia nun komplett auf Sprache und Dialoge. Die Figuren bleiben stumm, alles wird über Mimik und Gesten ausgedrückt, das Wort und die Interpretation soll im eigenen Kopf entstehen. Und auch das gelingt Virginia problemlos. In Verbindung mit der großartigen Musik von Lyndon Holland wird stehts die passende Stimmung erzeugt. Dass man durch die schnellen Schnitte und den Wechsel zwischen Realität und Traumsequenzen gelegentlich die Orientierung verliert, ist ein Teil der Spielerfahrung.
Der Spieler verfolgt das Geschehen dabei aus Sicht der Protagonistin und kann sich meist frei in den Szenen bewegen. Hotspots für Aktionen sind nur sehr spärlich gesetzt. Meist muss man genau eine Aktion per Mausklick durchführen oder zu einem bestimmten Bereich navigieren, um den nächsten Szenenwechsel einzuleiten. Die Entwickler ordnen das Gameplay konsequent der Regie unter. Und die Regie ist eindeutig die Stärke des Spiels.
Regie!
[Zitat Variable State]
Was die Entwickler hier abfeuern ist meisterlich. Da wäre die visuelle Gestaltung in Low-Poly-Optik mit toll ausgeleuchteten Szenen, die die Stimmung grandios transportieren. Da wären die überraschenden Schnitte zu anderen Szenen, Schauplätzen oder hinein in Träume und Erinnerungen, die das Spiel trotz Linearität zur Achterbahnfahrt machen. Es gibt diese Autofahrten durch tiefe Wälder, die man aus Film und TV kennt, die man hier als Beifahrer genießen kann. Und es gibt Stellen im Spiel, an denen man einfach wartet und beobachtet. Es gibt Szenen, die sind wunderschön. Andere sind verstörend. Und da ist die Entwicklung der Geschichte vom banalem hin zu einem alptraumhaften Trip ins Unerklärliche.
Und hier muss ich nun doch auf Twin Peaks, Akte-X und Lynch zu sprechen kommen. Denn auch wenn Thirty Flights of Loving die Hauptinspirationsquelle für Inszenierung und Schnitt war, so wirkt jede Szene in Verbindung mit Ihrer Musik wie eine Verneigung vor Werken wie Twin Peaks, Lost Highway, Akte-X sowie David Lynch und Angelo Badalamenti im Speziellen. Kenner der Filme und Serien werden an jeder Ecke Reminiszenzen entdecken können. Mal offensichtlich, mal als bloße Erinnerung, mal als flüsternder Geist aus den 90igern.
Virginia schafft das, was bei mir bisher nur Filme auslösen konnten: grinsend vor dem Bildschirm sitzen, auf die nächste Szene freuen, gelegentlich staunendes Kopfschütteln wegen einer weiteren abgefahrenen Idee oder Einstellung.
Wertung
-
Gesamtwertung
Fazit
Virginia zeigt, was aus interaktiven Filmen hätte werden können, wozu Spiele grundsätzlich in der Lage sind. Virginia zeigt auch, dass sich Videospiele längst zur Kunstform empor geschwungen haben. Und Virginia zeigt die Vielfältigkeit. Trotz spielerischer Armut findet es seinen Platz im Spielregal, in der Videospielgeschichte und sicher sogar in dem ein oder anderen Herzen eines Core-Gamers.
Es gibt nicht mehr nur gute oder schlechte Spiele sondern der Spieler kann inzwischen wie bei Büchern und Filmen wählen, ob er sich mit einem unbequemen Thema, einem anderen Stil oder einem neuen Blickwinkel auseinandersetzen möchte oder nicht. Wer etwas Außergewöhnliches spielen möchte und offen ist für ein reduziertes Gameplay, kommt an Virginia nicht vorbei.
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