Red Strings Club – Die Moral am Boden des Glases

Ein Spiel wie eine Diskussion nach 5 Cocktails in einer schummrigen Bar. Deconstructeam mixt uns aus Pixeln und Dialogen eine Dystopie und serviert uns diesen Drink als narratives Adventure, welches unser Gewissen piesackt und die Scheinheiligkeit unsere Moralvorstellungen offenlegt.

Deconstructeam hat es mit Minimalismus, Pixeln und den Themen rund um Moral, Aktivismus, Widerstand, Terrorismus und den fließenden Übergängen. Bereits in Gods will be Watching waren wir Zeugen wiederkehrender Aufgaben, Infiltrierung von Organisationen und der schwierigen Unterscheidung gerechtfertigter und ungerechtfertigter Aktionen. In Red Strings Club wird es privater und wir stehen nun klar auf der richtigen Seite. Der Seite der Weltverbesserer. Oder?

Die Zukunft ist das, was der Konzern aus Dir macht

Die Pixeloptik malt ein perfektes Stimmungsbild.

Die Zukunft ist wieder einmal wenig rosa, von den Neon-Farbtönen der Pixelkunstwerke dieses Cyberpunk-Adventures einmal abgesehen. Die Menschen sind nur noch Ressourcen mächtiger Konzerne. Implantate machen das Leben erträglich, optimieren den eigenen Körper und Geist, ganz im Sinne der Arbeitgeber.
Moment, könnte einer der Bewohner dieser Stadt sagen? Ist es nicht vielmehr so, dass die Weiterentwicklung des Transhumanismus das Leben wirklich viel besser gemacht hat? Die Implantate machen, dass ich beliebter bin, sie machen mich sexy, sie bringen mir Freude und machen mich glücklich. Und der Konzern ist gar nicht so schlecht. Irgendjemand muss das Zeug ja herstellen.
Die Zukunft ist rosa.

Wir spielen abwechseln mit Donovan und Brandeis. Der eine ein legendärer Informationshändler, ohne Technik im Körper und Bartender des ebenso legendären, titelgebenden Clubs. Der andere ein Hacker, ein Aktivist, auf der Höhe der Technik, vollgestopft mit Implantaten. Donovan kann die Gefühlslage der Gäste wie kein zweiter lesen und daran angepasste Drinks servieren, mit deren Hilfe die Gäste ihre geheimen Informationen über die hoffentlich gelockerte Zunge direkt in die Ohren des Barmanns übertragen. Implantate verträgt er nicht und wirkt auch sonst etwas aus der Zeit gefallen, verbündet mit längst vergessenem, fast dunklem Wissen. Sein Partner Brandeis hingegen ist ein Draufgänger, Lebemann, Mitglied einer Aktivisten-Gruppe, Fan von Implantaten und den Vorteilen, die sie bieten.

Transhumanismus oder wie ich durch ein Firmware-Update noch glücklicher wurde

Brandeis verbindet sich mit einem Androiden. Ein Schlüsselmoment.

Als sich ein Prototyp der neusten Generation empfindsamer Androiden des Konzerns Supercontinent Ltd in die Bar schleppt und dort zusammenbricht, erfahren beide von einem Programm namens „Sozialpsychische Fürsorge„, das flächendeckend zum Einsatz kommen soll. Dieses Programm soll den Menschen ein Stück weiter optimieren, in dem es Gefühle unterdrückt, die zu Angst, Depression, Wut und Gewalt führen. Jeder ist betroffen, der ein Implantat im Körper trägt und es soll automatisch als Firmware-Update aufgespielt werden. Für Brandeis und Donovan steht fest, dass das eine Art Gehirnwäsche sein muss, welche die Menschen und speziell die Menschlichkeit unterdrücken soll. Das muss verhindert werden.

Informationshändler Donovan soll nun mehr über das Programm und die verantwortlichen Personen herausfinden, denn viele Mitarbeiter des Konzerns sind seine Gäste. Brandeis will versuchen, mit diesen Informationen und seinen Skills in Social Engineering den Konzern zu infiltrieren, um das Programm zu sabotieren.

Töpfern, Mixen, Sabotieren – Ein Cocktail aus tiefgründigen Dialogen und Minispielen

Mit der richtigen Mischung können wir gezielt Emotionen ansprechen.

Und so töpfern wir als Android am Industrieband Implantate, wir mixen mit Donovan Cocktails, wir führen Dialoge mit Gästen, wir spielen ein Frage-Antwort-Quiz mit einer KI, als Brandeis versuchen wir zweifelnde Konzernmitarbeiter zur Sabotage zu überzeugen, wieder Drinks mixen, Dialoge, Infiltrieren per Telefon und Social Engineering – Das Spiel ist eine Abfolge aus toll geschriebenen Dialogen, existenziellen Frage-und-Antwort-Spielen sowie mechanischen, zunächst etwas aufgesetzt wirkenden Geschicklichkeitsspiele. Dass deren repetitive Mechaniken nicht stören, liegt zu allererst an der tollen Story, die sofort fesselt und man wissen möchte, wie es weiter geht. Zum anderen haben die Spielchen durchaus ihren Reiz und man ist gespannt auf die Reaktionen. Denn alles hat Konsequenzen. Welches Implantat ich einsetze, welche Emotion ich mit dem Cocktail ansprechen will. Stets muss man sich entscheiden.

Per Telefon und Social Engineering infiltrieren wir die Konzernzentrale.

Mein Highlight des Spieles ist der Teil der Infiltration. Brandeis schleicht sich in ein Büro des Konzerns ein und muss per Telefon aus den von Donovan zusammengetragenen Informationsfetzen weitere Informationen aus den Mitarbeitern herauskitzeln: Zugangscodes, Telefonnummern und Hinweise darüber wie das Programm zu sabotieren ist. Je nach gesammelten Informationen ändert sich die Ausgangssituation. Mit einem „Voice-Changer“ in einem seiner Implantate, wodurch andere Stimmen simuliert werden können, macht sich Brandeis an die Arbeit, nimmt Identitäten an, lügt, betrügt und kann gar den ganzen Konzern ruinieren, wenn der Spieler das will. Ein großer Spaß mit tollen Momenten, wenn sich die Puzzleteile zusammenfügen.

Das Finale wartet dann noch mit einem besonderen, intelligenten Kniff auf, der unser Verhalten und unsere Antworten in Frage stellt.
Überhaupt, das Spiel stellt viele Fragen. Und der Spieler darf diese nach seiner eigenen Einstellung und Moralvorstellung beantworten. Und das ist verdammt schwer. Die verfügbaren Antworten sind clever aus der Grauzone ausgewählt. Man muss sich Gedanken darüber machen, wo man steht. Was kann ich moralisch verantworten? Was sind die Konsequenzen? Jede Antworte, jede Entscheidung wiegt schwer und erzeugt einen neuen Knoten, der den Faden teilt, auf dem wir uns vorwärts bewegen in der Zeit. Und das schlimmste ist, wenn uns ein empfindsamer Android für naiv hält oder uns Scheinheiligkeit vorwirft.

Moralische Beratung durch künstliche Intelligenz

Jede Entscheidung teilt den String und das Spiel hält es uns immer vor Augen.

Die Fragen funktionieren nicht nur in der Sci-Fi-Spielwelt, viele können nahtlos in unsere Realität übertragen werden und sind von gesellschaftlicher Relevanz.
Können wir uns von einer KI moralisch beraten lassen?
Wie können wir einer KI trauen, die ihren eigenen Code schreibt, den der Mensch nicht mehr versteht?
Wie weit wollen wir uns von der Technik manipulieren lassen?
Wäre der Mensch noch ein Mensch, wenn seine Gefühle durch Implantate kontrolliert würden, seine Ängste und Depressionen deaktiviert, Wut, Hass unterdrückt?
Wäre er glücklicher?
Wäre die Welt eine bessere?
Wäre gar Weltfrieden möglich?
Oder ist das nur Marketing-Geschwurbel eines Konzernes oder Staates, der den Menschen zu einer voll kontrollierbaren Ressource machen möchte?
Darf der Hersteller die Implantate mit Update-Zwang ausrüsten und deren Funktionen dadurch beliebig ändern, so wie es bereits heute bei Software üblich ist?
Wer entscheidet, was gut für die Menschheit ist?
Und was genau würdest Du an der Welt ändern, wenn genau Deine Antworten jetzt zählen würde?
Würdest Du ein wenig Freiheit opfern, um die Gesellschaft besser zu machen? Weniger abgründig? Weniger brutal?
Oder würdest Du Freiheit über alles stellen und all die menschlichen Tragödien, die Morde, die Vergewaltigungen, die Kriege und die damit verbundenen Gräueltaten weiter geschehen lassen?

Wow. Was soll ich sagen? Ich hatte mich sehr auf Red Strings Club gefreut und das Spiel hat mich begeistert.
Man darf nur kein klassisches Point & Click Adventure erwarten. Spielerisch wird nicht so viel geboten. Die Minispiele würde ich als fummelig bezeichnen und sonst klickt man sich hauptsächlich durch Dialoge. Diese sind aber von einer enormen Tiefe und trotz übersichtlicher Anzahl an Szenen und Charakteren entfaltet sich eine komplexe, düstere Welt vor dem inneren Auge. Ich konnte erst aufhören, als der Abspann über den Bildschirm lief.

 


Quellen:

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