Firewatch
Auch bei mir landen Spiele häufig direkt auf dem Pile of Shame. Firewatch war eine dieser Ausnahmen. Warum und ob sich die Ausnahme gelohnt hat, beschreibt das Review.
Ich weiß nicht mehr genau, was mich so gepackt hat. Die ersten Artworks des Wachturms über den Bäumen? Die ersten Screenshots der Landschaft? Der erste Trailer mit bewegtem Material? Die ersten zarten Musikfetzen? Vielleicht auch erst die Reviews. Es klang für mich wie das bessere weil fertige The Long Dark, obwohl die Spiele abseits des Grafikstils kaum etwas gemein haben. Jedenfalls fing ich an und konnte nicht wieder aufhören.
Feuerwächter
Die Handlung des Spiels ist 1989 angesiedelt, nach den verheerenden Waldbränden im Yellowstone-Nationalpark von 1988. Wir steuern Henry, der für 3 Monate einen Job als Wächter in einem Brandwachturm in Mitten des Nationalparks angenommen hat. Fern der Zivilisation, nur per Funkgerät mit den anderen Wächtern in seiner Umgebung verbunden. Warum er diesen Job annahm, deutet das Intro an.
Vergessen
Schon der Einstieg ist nicht ganz gewöhnlich. Zum einen wird dem Spieler per Texteinblendungen mit kleinen Interaktionsmöglichkeiten die Vorgeschichte von Henry skizziert, wie er seine Frau kennen lernte, was sie verband, was ihr passierte, wie er reagierte. Zum anderen werden kurze Schnipsel der Reise weg von der Zivilisation, hin zum Nationalpark aus der Ego-Perspektive eingestreut, die wir aktiv durchlaufen können. Und das im ständigen Wechsel. Mein erster Gedanke: Warum dieser Cut? Kleines Budget? Doch nein – diese harten Wechsel zwischen Text und 3D-Szenen entfalten ihre Wirkung. Die Vorgeschichte wird immer deprimierender und unbequemer und wie Henry wollen wir nur noch weg, wir wollen vergessen, wir wollen flüchten in die Wildnis. Ich bin Henry.
Wildnis
Es ist bereits dunkel, als ich die Lichtung meines Wachturms erreiche. Im Mondschein schreite ich den Hügel hinauf und nehme die Treppe nach oben. Welch ein Ausblick. Bereits hier ahne ich, was die Entwickler von Campo Santo visuell noch bieten werden. Was sich dann im Tageslicht vor mir ausbreitet, ist schlicht überwältigend. Kniehohe Gräser, die sich im Wind wiegen, Baumkronen, durch die Lichtstrahlen fallen und den Staub beleuchten, Blätter, die tanzend zu Boden fallen, ein Canyon, Felsen, Seen, Wasserläufe – in ihrer reduzierten Art wirkt die Umgebung von Firewatch auf mich realistischer, vertrauter und lebendiger als die fotorealistischen Abbildungsversuche in AAA-Titeln. Die pure Schönheit.
Das begehbare Areal wirkt anfangs sehr groß, fremd, unüberschaubar – ich benötige Kompass und Karte um meine Ziele zu finden. Mit der Zeit entwickle ich aber ein Gefühl für die Gegend, finde Orientierungspunkte und lerne Wege und Abkürzungen kennen. Immer öfter komme ich nun an Stellen vorbei, die mir vertraut sind. Ich habe Lieblingsplätze, an denen ich verweile und die Wärme der Sonnenstrahlen spüre. Karte und Kompass benötige ich immer seltener. Wandere ich ziellos umher? Nein, ich folge der Stimme.
Kontakt
Bereits am Abend meiner Ankunft im Wachturm meldet sich eine weibliche Stimme über das Funkgerät. Es ist die Stimme von Delilah, der Koordinatorin der Feuerwächter in dieser Gegend, die mich von nun an begleiten und nicht mehr loslassen wird. Sie wird mir die Aufträge für die tägliche Arbeit erteilen, sie wird mich per Funk begleiten, Sie wird mein Anker sein in dieser Welt. Sie wird mir die Leichtigkeit zurück geben, die Freude am Leben und fast so etwas wie Heilung.
Die Dialoge mit Delilah werden schon bald zur Essenz des Spiels. Die Aufträge sind mir relativ egal, ich tue alles nur, um ihre Stimme zu hören. Sie wird mir Fragen stellen, die ich nicht beantworten will und doch ertrage ich es nicht, wenn das Funkgerät still ist. Sie ist der unerwartete Coup, der das Spiel so besonders macht, so menschlich, der mir viel über mich selbst verrät und mich verblüfft feststellen lässt, wie leicht ich mich von einer geskripteten Stimme beeinflussen lasse.
Regie
Die Regie bleibt in Firewatch angenehm im Hintergrund, man bemerkt nicht, wie man durch das Spiel gesteuert wird und auf die falschen Fährten gesetzt wird, weil man es tun möchte. Die Gespräche mit Delilah sind stark inszeniert, die Sprecher sehr sympatisch und so wird auch der nächste Botengang gerechtfertigt. Neben der Sprache fällt die perfekte Intonation der Musik auf. Beziehungsweise das Fehlen der Musik fällt auf, sobald diese einsetzt. Denn wie die Grafik ist auch die Musikuntermalung sehr reduziert. Immer im richtigen Moment läßt die Regie ein paar Gitarrenfetzen erklingen, stets passend zur Situation und Stimmung.
Spiel
Die Aufgaben, die ich zu erledigen habe, sind meist einfache Erkundungsgänge. Hier die Prüfung einer Leitung, da das Löschen eines nicht erlaubten Lagerfeuers, dort den Proviant für die nächsten Tage abholen. Anfangs dienen diese Aufträge dem Kennenlernen der Umgebung, dem Erlangen der Orientierung und dem Aufbau der Beziehung mit Delilah, später kommen dann solche hinzu, die sich aus der voranschreitenden Story ergeben.
Es gibt keine Action-Passagen oder Rätsel, alle Aufgaben werden mit dem Erkunden und dem Führen der Dialoge per Funkgerät erledigt. Wir steuern Henry dabei aus der First-Person Perspektive per WASD und Maus. Auch klettern, springen, öffnen von Türen und sonstige Aktionen erfolgen per einfachem Klick. Zur Orientierung stehen eine Karte und ein Kompass zur Verfügung. In den verstreuten Versorgungskästen sind weitere Kartenteile mit eingezeichneten Orten zu finden. Henry überträgt diese dann auf seine Karte. Im Wald sind noch zahlreiche Secrets versteckt (Hütten, Tiere, Lichtungen, Gräber), die zwar nicht die Geschichte vorantreiben aber immer einen Dialog mit Delilah hervorrufen. Das verstärkt jeweils noch mal die Bindung zur Umgebung und der Frau am anderen Ende der Leitung.
Thriller
Die erhoffte heile Welt wird schon an den ersten Tagen gestört. Ein Fremder ist im Park. Als ich ihn bemerke, rennt er davon. Mein Wachturm wird verwüstet, Wanderer verschwinden, eine Höhle ist verschlossen und es gibt ein mysteriöses, umzäuntes Gelände, das auf keiner Karte eingezeichnet ist. Zudem finde ich Hinweise darauf, dass ich beobachtet und meine Gespräche abgehört werden.
Lässt mich das Spiel zu Beginn noch recht gemütlich umherwandern, wird es mit zunehmender Spieldauer zum Thriller und nimmt gehörig an Fahrt auf. Die Spannung steigt immer mehr, lässt mich stellenweise die Luft anhalten, ich renne nun durch den Wald und nehme jede Abkürzung, bangend um Delilah und unsere geheime Verbindung. Das Spiel schafft es sogar mich paranoid werden zu lassen und das zuvor aufgebaute Vertrauensverhältnis ins Misstrauen zu kippen. Die Leichtigkeit ist verschwunden. Und ich weiß, sie wird nicht wiederkommen.
Feuer
Offensichtlich ist Henry nicht der einzige, der vergessen will. Während des Spielens wurden schon regelmäßig kleinere Feuer gelegt, sowohl im Wald, als auch im Kopf und so endet das Spiel, wie es enden muss: in einem Flächenbrand, der alle gefundenen Puzzlestücke mit sich reißt. Dabei ist es mir fast egal, ob das, was ich herausgefunden habe, die Wahrheit ist. Viel tragischer ist es, zu sehen, wie der lieb gewonnene Wald in Flammen aufgeht. Denn das bedeutet auch das Ende für den Job als Feuerwache, für die hier entstandenen Beziehungen und für die Flucht vor der Vergangenheit.
Was bleibt, ist eine Erfahrung. Vielleicht sogar eine Reflektion über eigene, verdrängte Erinnerungen. Über das Vergessenwollen. Man kann vor einem Feuer flüchten, doch es wird weiter brennen und sich ausbreiten. Man muss sich dem Feuer stellen, will man es löschen. Am besten, wenn es noch nicht zu groß ist.
-
Gesamtwertung
Fazit
Mit extrem reduzierten narrativen Mitteln schafft es das Spiel, nach dem deprimierenden Einstieg so etwas wie Heilung, Vergessen und ein Stück neue Heimat zu erzeugen, nur um dann alles in einem großen Feuer zu verbrennen.
In der Zwischenzeit erzählen uns Campo Santo nicht nur eine spannende Geschichte, sie schaffen es, dass wir uns verlieben. In den wunderschönen Wald, in die glaubhaften Charaktere und vielleicht auch in uns selbst.
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