Orwell

In Zeiten von BigData, Vorratsdatenspeicherung, Überwachung, NSA-Skandal, XKeyscore, Prism und Terroranschlägen auch in Deutschland kommt das vielleicht wichtigste Spiel des Jahres um die Ecke. Welche Daten gibt man im Internet preis, was können andere mit diesen Daten machen, was sind Keywords, die einen in den Fokus der Überwachung rücken, ab wann ist Telefonüberwachung gerechtfertigt und ist das Beschneiden der Persönlichkeitsrechte und der Freiheit durch flächendeckende Totalüberwachung durch den Staat zugunsten der allgemeinen Sicherheit legitim? Das sind die Fragen, die Orwell aufwirft. 

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The clocks were striking thirteen

Es ist mein erster Tag. Der Supervisor begrüßt mich zur letzten Testphase des neuen Systems Orwell unter Live-Bedingungen auf dem Monitor.
Gestern gab es in Bonton , der Hauptstadt von The Nation  einen Terroranschlag auf dem Freedom Plaza, trotz The Safety Bill  und Videoüberwachung. Ein Teil des Gesetzes The Safety Bill ist auch die neue intelligente Software Orwell , mit deren Hilfe ich nun das Internet auf Hinweise zum Anschlag und zu möglichen Verdächtigen durchsuche. Dank Videomaterial der Überwachungskameras sind schnell die Bürger im Visier, die sich am Ort des Anschlags aufhielten und schon einmal auffällig waren. Hier komme ich nun ins Spiel.

Jedes Foto, jeder Hinweis auf den Aufenthaltsort, jede Verbindung zu anderen Personen, jeder Kommentar in den Weiten des Internets, jeder Post in sozialen Netzwerken kann wichtig sein. Und so ziehe ich in Orwell die Informationsfetzen in die zentrale Datenbank und lasse Sie von meinem Supervisor bewerten.

Wird eine Person durch meine Fundstücke vom Supervisor als verdächtig eingestuft, darf sie nun vollständig überwacht werden. Telefon, Messenger, Smartphone und Computer – nichts ist nun mehr vor meinen Augen sicher. Wurde eine Person erst einmal ins System übernommen, gibt es kein zurück.

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Es ist nur ein Job

Orwell ist eine Art Point & Click Textadventure. Von Beginn an baut das Spiel die Immersion auf, als einfacher Sachbearbeiter vor einem fiktiven aber realistischen Überwachungstool zu sitzen, um Daten zu sammeln. Die Entwickler bauten dafür ein kleines Internet nach bestehend aus unzähligen Webseiten, Blogs, Social Media Plattformen und Messengern. Zusätzlich können wir remote Telefonmitschnitte lesen, Smartphones überwachen und Desktoprechner durchsuchen.

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Die Hauptaufgabe besteht darin, in den unzähligen Texten relevante Informationen zu den in Orwell angelegten Personen zu finden, die uns nach der Erfassung ins System Zugang zu weiteren, verknüpfbaren Dokumenten und Webseiten bieten. Diese Data-Chunks können Bilder, Worte, Orte, Datumsangaben, Telefonnummern oder Personen sein und werden im Text farblich hervorgehoben. Per Maus zieht man diese nacheinander in das System. Wird eine neue Person hochgeladen, erstellt Orwell ein neues Profil und verknüpft es entsprechend mit der anderen Person. Mit jedem neuen Profil ergeben sich somit wieder neue Dokumente, die zu durchsuchen sind oder Hinweise in bereits durchsuchten Dokumenten, die nun relevant sind.

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Da klingt nach Arbeit. Ist es auch, denn schnell wollen viele verschiedene Dokumente, Medien und Seiten durchsucht werden. Das entwickelt sich mit der Zeit zu einer repetitiven Aufgabe, doch da die Episoden angenehm kurz sind, die Webseiten, Blogs und Desktops toll gestaltet und die News, Posts, Mails und Chatprotokolle toll geschrieben sind, macht es Spaß, alles zu durchsuchen und zu lesen. Jede Person hat eine eigene Geschichte und je mehr man findet, desto besser lernt man die Person kennen. Die Texte und Chats sind so großartig und passend geschrieben und entwickeln eine Tiefe, so dass man letztendlich glaubt, die überwachten Personen zu kennen und sogar kleine Veränderungen in der Persönlichkeit bemerkt.

Richtig interessant wird es zudem, wenn zu einer Person Datensätze gefunden werden, die im Konflikt zueinander stehen. Dann muss ich entscheiden, welcher Datensatz zur aktuellen Einstellung der Person passt und hochgeladen werden soll. Das ist überaus spannend, da ich die überwachte Person anhand der Informationen einschätzen muss und sich durch meine Entscheidung neue Fäden und Hinweise ergeben und andere Fäden nicht mehr verfolgt werden. Hinzu kommt, dass mein Supervisor meine Entscheidungen ständig kontrolliert und die hochgeladenen Daten eventuell anders bewertet und somit etwas los getreten werden könnte, was ich gar nicht will. Ein mulmiges Gefühl entsteht.

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Die Geschichte nimmt ihrem Lauf

Der Großteil der Geschichte entwickelt sich im Kopf des Spielers durch das Lesen der Texte und Gespräche zwischen den überwachten Personen. Am Anfang wirkt die Story um eine Aktivistengruppe, die ins Visier der Überwachung geriet mangels Informationen noch etwas banal und konstruiert. Doch je mehr Puzzleteile der Spieler im Kopf zusammensetzen kann, je besser man die Personen und ihre Verbindungen kennen lernt und je mehr persönliche Notizen, Bilder und Hintergrundinformationen man gefunden hat, desto spannender wird der Versuch, alles zu einem Bild zu ordnen, was erst im Finale komplett gelingt.

Obwohl die Story von Orwell recht linear durch die 5 Episoden verläuft, fühlt es sich nicht so an. Auf sehr geschickte Weise wird einem das Gefühl vermittelt, dass man selbst den Fortlauf und die Richtung der Geschichte dadurch beeinflusst, welche Data-Chunks man zu einer Person ins System lädt. Es gibt zwar ein paar Verzweigungen, oft hat man aber keine Wahl und es geht erst weiter, wenn bestimmte Datensätze gefunden und hochgeladen wurden. Das fällt aber nicht ins Gewicht, denn es wird von dem Gefühl überlagert, dass ich dafür verantwortlich bin, was mit den Zielpersonen geschieht und der ein oder andere Unschuldige nicht verhaftet worden wäre, hätte ich mich anders entschieden. Das schlechte Gewissen saß mir bei Orwell regelmäßig im Nacken.

In Episode 5 mündet dann alles in einem von mehreren möglichen Enden, je nach dem, welche Spur man genauer verfolgt oder welche Person mehr in den Fokus gerückt hat und welche Entscheidungen man getroffen hat.

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Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten

Bereits der Titel des Spiels gibt eine klare Richtung an, der Titel der erste Episode ebenfalls, ist er doch dem ersten Satz aus George Orwells 1984 entnommen. Dass die Geschichte mit April 2017 nicht all zu weit in die Zukunft verlegt wurde, zeugt von der Aktualität des Themas. Im gesamten Spiel findet man verschiedenste Standpunkte und Denkanstöße, entwickelte und wieder verworfene Ideen, feste und wieder revidierte Meinungen. In den letzten beiden Episoden nimmt die Sache schließlich richtig Fahrt auf und gespickt mit vielen kleinen falschen Fährten und Wendungen entwickelt sich ein spannender Thriller über die Entwicklung von Überwachungssystemen und deren Nutzen und Gefahren für die Gesellschaft.

Der Staat „The Nation“ im Spiel orientiert sich dabei an einer typischen westliche Demokratie, deren freiheitlich, demokratischen Grundwerte in den letzten Jahren immer mehr durch Überwachung und erhöhter Sicherheitspolitik untergraben wurden. Das Spiel schafft es dabei nachhaltig den Satz „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ ad absurdum zu führen, denn es ist einfach gruslig zu erfahren, wie schnell man anhand aus dem Zusammenhang gerissener Satzfetzen oder im Affekt geposteter Meinungen für einen Unbeteiligten (oder eine KI) verdächtig wirkt und wie leicht man durch eine falsche Einschätzung das ganze Leben eines Menschen zerstören kann. Allein dafür lohnt es sich Orwell zu spielen.

Die Kombination aus Thriller, Thematik, den tollen Texten und den vielen differenzierten Ausführungen und Diskussionen über ein wichtiges Thema innerhalb der Spielwelt machen Orwell für mich vielleicht nicht zum besten Spiel aber mit Sicherheit zum wichtigsten Spiel des Jahres.

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Pro
 Das sehr aktuelle Thema über Überwachung und die Auswirkungen auf die Gesellschaft
 Die starke Immersion, die durch die glaubhafte Spielwelt geschaffen wird
 Die toll geschriebenen Texte und die realistischen, lebhaften Dialoge
 Die Spannung und das Puzzle im Kopf, das durch das Kennenlernen der überwachten Personen entsteht
 Der ständig präsente Grusel, der durch das Eindringen in die Privatsphäre fremder Menschen entsteht
 Die in der Spielwelt zu findenen Denkanstöße, Ideen und Diskussionen

Con
Die sich wiederholende Tätigkeit des Suchen und Ziehen von Data-Chunks in die Datenbank
 Nur in englisch

Weitere Infos

Entwickler: Osmotic Studios
Veröffentlicht am: Episode 1  am 27.Oktober, jede weitere je eine Woche später
Plattform: Steam
Offizielle Seite: Link
Spieldauer: ca. 1-2 Stunden pro Episode
Sprache: nur englisch


 

 

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2 Gedanken zu „Orwell

  • 9. Dezember 2016 um 9:21
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    Das klingt nach dem perfekten Spiel für unsere Zeit. Schön geschrieben.

    Antwort
    • 9. Dezember 2016 um 21:05
      Permalink

      Danke. Das Spiel ist wirklich mal ein sehr passender Kommentar zu unserer Zeit.

      Antwort

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