MS Flight Simulator 4 – Der Flug über den Tellerrand

Es muss Weihnachten 1991 gewesen sein, als mein Vater der Familie den ersten PC kaufte und mein weiteres Leben damit maßgeblich beeinflusste. Denn mit dem ersten PC und dem ersten Spiel hielt mich nichts mehr am Boden. Über den Tellerrand fliegend, sah ich eine neue Welt.

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Wundermaschine

Die Wundermaschine war ein 286er mit 16 MHz, 1MB RAM und sagenhaften 90 MB Festplattenspeicher – Das beste Weihnachtsgeschenk, das man einem 12-jährigen machen konnte. Oder? Nun ja, eigentlich wollte ich doch … spielen. Und nicht nur Pong-Klone auf popeligen DDR Konsolen. Nein, die Spiele, die ich bei Freunden und Bekannten auf deren Amiga und C64 sah und deren flimmernde Bilder sich tief in mein Gehirn brannten und mich nicht mehr losließen.
Jetzt stand da also ein DOS PC für „Arbeit und Schule“ und tollen Office-Programmen wie MS Works. Und statt North & South, Lemmings oder Rick Dangerous lag der etwas dröge anmutende MS Flight Simulator unter dem Baum. Ich war begeistert.

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Das erste Spiel

Der Inhalt der Packung ließ zunächst auch ein Office Programm vermuten. Zwei Handbücher lagen dem Spiel bei, ein Flughandbuch und ein Navigationshandbuch. Und diverse Karten mit allen im Spiel enthaltenen Flughäfen und Koordinaten. Aber wer brauch schon Handbücher? Die fliegengewichtigen DOS-Kenntnisse anwenden und das Spiel starten war der Plan. Und schon saß man im Cockpit. Hilflos und verloren. Vor einem unzählige Kontrollanzeigen und Regler. Draußen die bunte Welt.

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Der erste Flug

Ohne Handbuch bzw. Referenzkarte mit den Tastaturbefehlen ging gar nichts oder wenn, dann nur wenig und das dann auch nur zufällig. Nun aber – Bremsen lösen, Schub volle Kraft, los geht’s. Die Cessna bewegte sich langsam vorwärts, wurde schneller und hob schließlich ab. Welch ein Gefühl. Das Flugzeug gewann an Höhe und sofern man seine nervösen Finger an den Pfeiltasten der Tastatur im Griff hatte, blieb das auch so.
War man ungeduldig und hob die Nase des Vogels zu schnell zu steil, verlor man die Kontrolle. Beim Kurvenfliegen konnte man ebenfalls leicht übersteuern. Also flog ich sanfte Bahnen zwischen den Polygonhochhäusern entlang und wieder zurück zum Meer.
Die EGA-Grafik war damals schon nicht mehr State of the Art, für meine jungfräulichen Augen war die Palette aus grünem Boden, hellblauem Himmel und dunkelblauen Wasser, angereichert mit ein paar Polygonobjekten absolut ausreichend, um Bilder im Kopf und das Gefühl zu fliegen entstehen zu lassen.

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Vom Rookie …

Man war schon gut beschäftigt, um die Grundlagen der Fliegerei mit dem Simulator zu lernen. Mit einem Joystick konnte man die verschiedenen Flugzeugtypen schließlich nach und nach in der Luft beherrschen. Das Landen war dann wieder eine neue Herausforderung und ebenso wie das Anfliegen anderer Flughäfen mit Handbuchstudium, Navigationsstudium und Training verbunden.
Das Gefühl, bei Nacht und schlechtem Wetter einen entfernten Flughafen angesteuert und dort sicher gelandet zu sein, war dann angemessen großartig.

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… zum Ace of the WW I

Hatte man die Grundlagen drauf, konnte man sich an die Szenarien, die Flugschule oder dem Entertainment-Programm wagen. So warteten in der Flugschule verschiedene Aufgaben auf einen. Das fing bei einfachen Rundflügen an und steigerte sich zu komplexen Kunstflugfiguren.

Im Unterhaltungsmenü konnte man zwischen Multiplayer, Formationsflug, Sprühflug und World War I Ace wählen. Letzteres war für einen Jungen natürlich am attraktivsten.

Ziel war es mit einem Bomber vom Startfeld in Feindesland zu fliegen, um dort seine Ladung abzuwerfen und sich unterwegs gegen feindliche Jäger zu verteidigen. Richtig gut war es allerdings nicht. Man saß im gewohnten Cockpit, ein rotes Fadenkreuz war auf das Sichtfeld gemalt, die Ziele waren schwer zu finden und schlecht zu erkennen und auch die gegnerischen Doppeldecker bestanden nur aus ein paar Strichen. Kein Vergleich zu den vollwertigen Kampfflugsimulationen dieser Zeit.
Trotzdem wollte ich es wissen. Ich kannte ja nichts Besseres. Alles in Allem vergingen Wochen, bis man alles gesehen und erfolgreich absolviert hatte.

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Auf den Spuren der Gebrüder Wright

Dem Piloten vor dem PC standen 4 Flugzeugtypen zur Verfügung: eine Cessna 182, ein Lear Jet, ein Segelflugzeug und ein Doppeldecker Sopwith Camel. Mittels Erweiterung kam sogar noch eine Boing hinzu.

Wem das nicht genügte, konnte mit dem Aircraft Designer eigene Flugzeuge nach seinen Wünschen erstellen. Auf Grundlage der vorhandenen Typen konnten unzählige Parameter verändert werden, Spannweite, Winkel, Antrieb, etc.
Zu optimistische Änderungen endeten meist in einer Katastrophe, man musste sehr bedacht vorgehen, um die Maschine weiterhin in der Luft halten zu können. Allein mit diesem Designer konnte man sich noch einmal weitere Wochen beschäftigen. Es hat riesig Spaß gemacht, absurde Kisten zu entwerfen, die dann wirklich geflogen sind.

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Was vom Tage übrig bleibt

Der FS4 war schon eine tolle Simulation und ein wahres Optionsmonster dazu. War er auch ein gutes Spiel? Nur bedingt. Er war träge, wirkte angestaubt, manche hätten langweilig gesagt. Man musste viel investieren, man musste es wollen und man bekam nicht immer alles zurück. Der Spielspaß musste aus einem selbst kommen.
Und doch, der spröde Flugsimulator ist für mich etwas Größeres. Den FS4 verbinde ich für immer mit dem ersten eigenen PC, mit dem ersten eigenen Joystick, mit dem ersten eigenen Spiel.

Rückblickend wurde Weihnachten 1991 nicht nur der Traum eines kleinen Jungen erfüllt, es wurde die Weiche für einen Lebensentwurf gestellt, welcher vielleicht schließlich dahin führte, dass ich mit dem „Computerzeug“ meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Zugegeben, der Flugsimulator hat nicht allein dazu beigetragen, wohl aber die Kombination aus Grundinteresse an Computertechnologie, die Erfüllung des Wunsches nach einem eigenen Homecomputer und der Bestätigung durch das Spiel, was alles möglich ist.

Ex-Pilot

Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich damals wirklich mit dem FS4 verbracht habe. Ich schätze, den ersten Winter flog ich täglich. Doch später blieb das Flugzeug auch mal im Hangar.
Nach und nach kamen neue Spiele hinzu. Auf Disketten vom Schulhof oder von Verwandten. Die Zeit, die ich mit dem FS4 verbrachte, wurde weniger. Die neuen Spiele verdrängten nach und nach den Flugsimulator. Erst von meinem Bildschirm, dann von meiner Platte, schließlich aus meinen Gedanken. Aber nicht aus meinem Herzen.
Im Nachhinein, aus dem Zeitalter des Pile of Shame betrachtet, war das Gefühl, nur ein Spiel zu besitzen und sich ausschließlich und zeitintensiv mit diesem zu beschäftigen, etwas Einzigartiges. Ein Gefühl, das nie wieder kommen würde.

 


Die Verpackung und der Inhalt

  • Bildquelle der deutschen Packung: mobygames.com
  • Bildquelle der Packungsinhalte: http://www.planetmic.com/orbit/fs4web01.htm

 


Quellen und Resourcen

 

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